Der Kanzler vor dem Untersuchungsrichter
Die Politik hat eingegriffen durch die Person der Justizministerin. Sie hat angeordnet, dass der Kanzler nicht von der Staatsanwaltschaft, wie derzeit die Norm, sondern von einem Richter vernommen wird. Bei dieser Verfügung handelt es sich eindeutig um einen Eingriff in die verfassungsrechtlich so festgelegte „unabhängige“ Rechtspflege durch die Politik, die Exekutive! Nein, das darf nicht sein! Sind wir noch ein Rechtsstaat, wo auch Gewaltentrennung verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist? Das Ergebnis des Eingriffs ist zwar an sich richtig und begrüßenswert, nicht aber die Vorgangsweise. In demokratischen Staaten – wir waren das auch einmal, bis zu einer „Reform“ im Jahr 2004, in Kraft ab 2008 – lag nämlich die Leitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren bei einem unabhängigen Untersuchungsrichter und nicht bei der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft. Der Untersuchungsrichter kann da die Erhebungen selbst führen oder durch die Staatsanwaltschaften führen lassen, er aber hat die Oberaufsicht und Kontrolle und kann damit überschießenden Aktivitäten und Einseitigkeiten bei Ermittlungsaktionen Einhalt gebieten oder sie in geregelte Bahnen bringen. Wenn Ermittlungsverfahren so laufen würden – wie gesagt: in demokratischen Staaten mit unabhängiger Justiz ist das der Fall – dann kann man mit Recht von einer unabhängigen Justiz sprechen, von Unabhängigkeit in allen Phasen des Verfahrens. Bei uns ist das leider derzeit nicht der Fall, weil die Staatsanwaltschaften nicht unabhängig sind.
Vielleicht kann jetzt das Verfahren gegen den Bundeskanzler ein allgemeines Umdenken auslösen und dazu führen, dass man den Wert einer unabhängigen Justiz erkennt. Wie gesagt: mit einer Unabhängigkeit in allen Phasen eines Verfahrens, wie dies in demokratischen Staaten die Norm ist.
Peter F. Lang, Wien
Dr. jur., Ex-Richter